Die stärkste Liga der Welt? (III) – Transferströme 2012/2013

Noch bis Ende August ist das Transferfenster geöffnet und rund um den Erdball wechseln gegenwärtig Profifußballer den Arbeitgeber. Das hat mich auf die Idee gebracht, in meine Fußball-Reihe einen Beitrag zu internationalen Transferbewegungen einzubauen und zu überlegen, ob sich anhand dieser Entwicklungen eine Ahnung von der Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen den europäischen Ligen gewinnen lässt. Da die aktuelle Transferperiode noch nicht zu Ende ist, greife ich zunächst auf die Daten der letzten Saison zurück. So ergibt sich ein gutes Vergleichskriterium zum späteren Abgleich mit den Daten der aktuellen Transferperiode.

Nachfolgende Grafiken, erstellt im Radial Axis Layout von Gephi, zeigen die globalen Transferströme basierend auf den Daten von Transfermarkt.de. Der jeweilige Kreis repräsentiert das Transfervolumen der Vereine des jeweiligen Landes in Millionen Euro in Ablösesummen, die Verbindungen bilden die Transferströme in monetärer Hinsicht ab. Für letztere habe ich aus optischen Gründen auf eine Beschriftung verzichtet. Die Daten können bei Transfermarkt.de eingesehen werden.

Spielermagnet Premier League, Powershopping in Russland

Mit großem Abstand vor allen anderen besitzt England nach wie vor eine große Anziehungskraft. Allein aus Frankreich wechselten Spieler für eine kumulierte Ablösesumme von ca. 140 Millionen Euro auf die Insel, damit war dieser Transferstrom der größte der letzten Saison. Auch aus Italien, Deutschland, Spanien und Brasilien wechselten Spieler für beträchtliche Ablösesummen in die Premier League. Bemerkenswert ist, dass Russland bereits auf dem zweiten Platz folgt. Für rund 96 Millionen Euro wechselten Spieler aus Portugal nach Russland, darunter allerdings auch Hulk, der mit 55 Millionen Euro Ablöse für mehr als die Hälfte der Summe verantwortlich ist. Nach Italien und vor Frankreich liegt Deutschland an vierter Stelle. Die ausgehenden Transferströme verteilen sich relativ gleichmäßig auf viele Länder. Eine weitere Auffälligkeit ist Spanien. Das Volumen der Ablösesummen für neu in die Primera Division wechselnde Spieler war vergleichsweise gering und bewegte sich eher in der Größenordnung von Ländern wie der Türkei oder Brasiliens anstelle der anderen großen europäischen Ligen.

Eingehende Transfers in Millionen Euro

Eingehende Transfers in Millionen Euro, Kreisdurchmesser proportional zum Volumen der für internationale Zugänge gezahlten Ablösesummen

Sparkurs im Süden

Während in England weiter mächtig eingekauft wird, scheint in Spanien und Italien mittlerweile mehr aufs Geld geachtet zu werden. Auch in Frankreich, Brasilien und Portugal fallen die kumulierten Abslösesummen für die abgewanderten Spieler deutlich höher aus als diejenigen für die Zugänge. Das passt ins Bild dieser  Ligen als solche, die von vielen Spielern als Transfersprungbrett zu den großen europäischen Clubs genutzt werden.

Ausgehende Transfers in Millionen Euro

Ausgehende Transfers in Millionen Euro, Kreisdurchmesser proportional zum Volumen der für internationale Abgänge erzielten Ablösesummen

Die Bundesliga hatte im Vergleich zu den anderen großen Ligen vor und während der letzten Saison internationale Abgänge in vergleichsweise geringem Umfang zu verzeichnen. Das Volumen der Zugänge überragte diese deutlich. Möglicherweise kann daraus bereits ein Hinweise auf die steigende Attraktivität der Bundesliga abgelesen werden. In diesem Fall sollte sich in der aktuellen Transferperiode der Trend fortsetzen.

Was bringt diese Transferperiode?

Interessant wird zu sehen sein, wie sich die internationalen Transferströme dieses Sommers im Vergleich zu denen von 2012/2013 gestalten werden. Ganz sicher wird England wieder an erster Stelle stehen. Aber wird sich der Sparkurs in Südeuropa fortsetzen? Für die Bundesliga könnten gute Chancen bestehen, Italien vom dritten Platz abzulösen. Einen Aufsteiger kann ich bereits jetzt mit großer Sicherheit ankündigen: Da die Transferströme bei Transfermarkt.de den AS Monaco trotz seiner Teilnahme am französischen Ligenbetrieb als Vertreter Monacos klassifizieren, wird das Fürstentum in dieser Transferperiode zu den Top-Einkäufern im internationalen Vergleich zählen.

von Tobias Wolfanger

moviegalaxies_typologo

Introducing: Moviegalaxies

In meiner neuen kleinen Reihe „Introducing“ möchte ich jeweils kurz auf Fundstücke aus dem Web aufmerksam machen, auf die mein Interesse gestoßen ist. Als erstes möchte ich moviegalaxies.com vorstellen. Die Seite widmet sich Filmen, indem sie alle in ihnen auftauchenden Personen in einem Sozialen Netzwerkgraph repräsentiert. Dabei ergeben sich teilweise sehr charakteristische Muster, an denen sich einiges zur Gestalt eines Films ablesen und wiedererkennen lässt.

Welche Bedingungen genau erfüllt werden müssen, damit eine Verbindung zwischen zwei Personen registriert wird, ist nicht ganz klar. Die Betreiber der Seite möchten diese „secret sauce“ gerne für sich behalten. Ich vermute, dass das Kriterium für die Verknüpfung zweier Charaktere im Graph deren gemeinsames Auftauchen in einem Bildausschnitt, deren Interaktion oder ähnliches ist.

In jedem Fall ergeben sich interessante Möglichkeiten in das Universum eines Films einzutauchen und dessen soziale Strukturen zu rekapitulieren. Besonders spannend ist es aber, Filme miteinander zu vergleichen. Mit Hilfe einiger Maße aus der Sozialen Netzwerkanalyse können sogar objektive Unterschiede herausgearbeitet werden. So zeigt der Netzwerkgraph des Films „Traffic“ eine sehr hohe „Average Path Length“ (3,54), also die durchschnittliche Anzahl von Ecken, mit denen zwei Charaktere im Film miteinander verbunden sind. Obwohl ich den Film nie gesehen habe, wird mir relativ schnell klar, dass es sich um eine Reihe separater Handlungsstränge handeln muss, die nur durch die Interaktion weniger Personen zusammengeführt werden. Und tatsächlich: Bei Wikipedia steht: „Traffic – Macht des Kartells zeigt auf drei Erzählebenen den Kampf der Regierung, der Polizei und des Militärs gegen Drogen. Die Handlungsstränge sind eng miteinander verwoben, obwohl sich die Figuren der verschiedenen Ebenen fast nie begegnen.“

Im krassen Gegensatz dazu stehen Filme wie „Forrest Gump“ oder „The Big Lebowski“, bei diesen liegt die „Average Path Length“ jeweils unter zwei (1,99 bzw. 1,92). D.h. fast alle Figuren sind über nur eine Ecke miteinander verbunden. Logischerweise ist das jeweils der zentrale Charakter des Films, also Forrest bzw. der Dude. Unterscheiden lassen sich die beiden Filme insbesondere hinsichtlich der von ihnen erzählten Zeit. Während die Handlung von Forrest Gump mindestens einige Jahrzehnte umfasst, wollte der Dude nur seinen Teppich zurück. Sein soziales Netzwerk ist folglich deutlich kleiner, aber dafür dichter als bei Forrest. So gibt die Density den Anteil der tatsächlichen Verbindungen an allen möglichen wieder. The Big Lebowski kommt hier auf einen Wert von 0,11, Forrest Gump auf 0,06. Bei Traffic liegt die Density gar nur bei 0,04.

Es geht aber noch stärker verwoben: Mit einer Density von 0,28 wird in Tarantinos Film „Reservoir Dogs“ eine äußerst hohe Netzwerkdichte zur Schau gestellt. Verständlich, wenn man bedenkt, dass bereits in der ersten Szene alle in den Überfall des Diamantenhändlers verwickelten Gangster an einem Tisch im Restaurant die berühmte Trinkgelddiskussion führen. Der Clustering Koeffizient (die Wahrscheinlichkeit, dass zwei mit einem dritten verbundenen Charaktere auch untereinander verbunden sind) liegt bei stolzen 0,71. Insgesamt scheinen Geschichten die in einem begrenzten Zeitraum an wenigen Orten spielen hier deutlich höhere Werte aufzuweisen als solche die viele Handlungsorte und Zeitpunkte umfassen, wie beispielsweise Pearl Habour (0,34).

Durch die Verbindung von Sozialer Netzwerkanalyse mit dem Thema Film ermöglicht moviegalaxies.com  tolle Einsichten in die soziale Struktur von Filmen. Man kann dort ziemlich schnell die Zeit aus den Augen verlieren. Noch befindet sich die Seite im Aufbau, so dass ständig neue Filme hinzukommen oder neue Features ergänzt werden. Ein Besuch lohnt sich nicht nur für Filmfreunde und ist besonders spannend, wenn man sich zunächst selbst Gedanken über einen Film macht und diese dann anhand der Graphen testet.

von Tobias Wolfanger

Die stärkste Liga der Welt? (II) – Bezaubernder GINI

Heute folgt der zweite Teil meiner Reihe „Die stärkste Liga der Welt?“. Wie wir gesehen haben, hebt sich die Bundesliga bezüglich der Verteilung der Meisterschaften auf verschiedene Vereine nur unwesentlich von den anderen europäischen Top-Ligen ab. Im Vergleich zu den höchsten Spielklassen Italiens, Englands und Spaniens gibt es unabhängig von der Wahl des retrospektiven Betrachtungszeitraums maximal zwei zusätzliche nationale Meister. Aber es wäre unzureichend eine ganze Saison mit 306 ausgetragenen Spielen (bei 18 Teilnehmern) lediglich auf den Meister zu reduzieren. Anhänger eines Vereins aus einer in der Nähe von Herne-West würden mir wohl uneingeschränkt zustimmen. In diesem Teil der Serie soll es also darum gehen, tiefer in die Breite der Ligen vorzustoßen und das gesamte dortige Leistungsspektrum zum Untersuchungsobjekt zu machen.

In der Wirtschafts- und Sozialstatistik wird zur Messung der Ungleichverteilung von Ressourcen gerne auf den GINI-Koeffizienten zurückgegriffen. Im Wertebereich zwischen 0 und 1 gibt dieser an, wie gleichmäßig (0) oder ungleichmäßig (1) eine Ressource unter einer Anzahl von Einheiten verteilt ist. Seine Entwicklung geht auf den italienischen Staistiker, Soziologen und – leider – Faschisten Corrado Gini zurück, der mit ihm die Verteilung von Vermögen in Volkswirtschaften berechnete. Grundsätzlich lässt sich sein Konzept aber auf eine Vielzahl von Zusammenhängen anwenden, sogar auf Fußball.

Für diesen Beitrag habe ich für die fünf ausgewählten europäischen Ligen die GINI-Koeffizienten aufgrund der Verteilung der Siege innerhalb einer Saison für die letzten 50 Jahre berechnet.

Exkurs zur Methodik:

Prinzipiell stehen unterschiedliche Größen als Ressource zur Berechnung des GINI-Koeffizienten zur Verfügung – erzielte Tore, Punkte und Siege. Die Schwierigkeit bei einer Sportart wie Fußball ergibt sich aus dem Umstand, dass ein vergleichsweise hoher Anteil von Spielen mit einem Unentschieden endet. Bei den am ehesten vergleichbaren Mannschaftssportarten wie Handball, Basketball oder Eishockey ist die Wahrscheinlichkeit eines Matches an dessen Ende kein Sieger feststeht deutlich geringer: entweder aufgrund der Spielanlage, die Wahrscheinlichkeit dass ein Angriff mit einem Punktgewinn abgeschlossen wird ist beim Handball und Basketball deutlich höher, oder aufgrund besonderer Regeln wie beim Eishockey oder Basketball, die im Falle des Gleichstands auch in der regulären Saison eine Verlängerung vorsehen.

Die Punkteverteilung in der Abschlusstabelle einer Fußballiga eignet sich daher nur eingeschränkt als die Ressource, deren Verteilung mit Hilfe des GINI-Koeffizienten berechnet werden soll. Denn da selbst die dominanteste Mannschaft nur an einem Bruchteil der Spiele einer Saison (34 von 306 bei 18 Teilnehmern) teilnehmen kann, gleichzeitig aber in jedem Spiel zumindest zwei Punkte vergeben werden, bei Unentschieden jeweils einer an beide Mannschaften, im anderen Fall drei an den Sieger. Ein GINI-Koeffizient von 1, also absolute Ungleichverteilung, ist in Bezug auf die verteilten Punkte also bereits theoretisch ausgeschlossen. (Außerdem hatte ich keine Lust auf die Umrechung auf das Drei-Punktesystem.)

Bei der Anzahl der erziehlten Tore besteht diese Eingrenzung nicht. Allerdings ist die Verwendung nur einer Seite der Tordifferenz problematisch, da sie zwar Auskunft über die Angriffsleistungen einer Mannschaft gibt, nicht jedoch über deren Verteidigung. Demnach hätten Mannschaften wie Werder Bremen, die sich in den letzen Saisons oft durch eine ebenso erfolgreiche Offensive wie relativ desatröse Defensive auszeichneten, einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis, der aber wenig mit der sportlichen Wertigkeit der erzielten Ergebnisse zusammenhängt.

Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass auch die Wahl der Siege eine theoretische Schwachstelle hat. Man stelle sich einmal eine Saison vor, in welcher mit Ausnahme eines Spiels alle anderen Parteien mit einem Unentschieden enden. Diese würde bei der gewählten Methode einen GINI-Wert von 1, also maximale Ungleichheit, aufweisen, während das Verständnis des geneigten Fußballfans wohl eher von einer extrem ausgelichenen Saison sprechen würde. Dieser Einwand verliert aber an Bedeutung, je geringer die Anzahl unentschiedener Spiele in einer Saison ist. In der abgelaufenen Bundesligasaison endeten etwa 25% der Spiele ohne Sieger.

According to GINI – Der Wettbewerb in den Europas Ligen

Jede Saison ist anders

Eine Betrachtung der ermittelten GINI-Werte offenbart, dass in allen Ligen zwischen zwei aufeinanderfolgenden Saisons beträchtliche Schwankungen möglich sind, d.h. sehr ausgeglichene Saisons können auf sehr unausgeglichene folgen und andersherum. Im nachfolgenden Diagramm ist der Verlauf für alle Saisons abgetragen.

GINI-Koeffizienten im Zeitverlauf 1964-2013

GINI-Koeffizienten im Zeitverlauf 1964-2013

Eine Betrachtung des Verlaufs der reinen Messwerte lässt einen fast so verloren zurück wie jemanden, der den Versuch unternimmt, die Transferbemühungen des BVB in dieser Sommerpause nachzuvollziehen. Für ein bisschen mehr optische Struktur habe ich deshalb versucht, basierend auf den Datenpunkten Trendlinien in das Diagramm hineinzulegen.

Polynomische Trendfunktionen 6. Grades der GINI-Koeffizienten 1964-2013

 So wird es möglich, zumindest einen groben Eindruck der Entwicklungsverläufe des internen Wettbewerbs in den ausgewählten Ligen zu erhaschen. Gleichzeitig wird deutlich: Ein Blick auf den GINI-Koeffizienten einer Saison hat kaum längerfristige Aussagekraft und gibt vergleichweise wenig Aufschluss darüber, wie es in der nächsten aussehen könnte.

Ähnlichere und unausgeglichenere Ligen in Europa

Trotz der Komplexität der Daten lassen sich zwei generelle Trends der letzten 50 Jahren auf aggregiertem Niveau abzeichnen. Berechnet man den Mittelwert der GINI-Koeffizienten über alle Ligen hinweg, so lässt sich feststellen, dass der Trend in den europäischen Top-Ligen sich insgesamt eher in Richtung einer unausgeglicheneren Verteilung von Siegen entwickelt, mit einer Zunahme von ca. 0,006 bis 0,007 GINI-Punkten alle zehn Jahre.

Der zweite Trend ist die Konvergenz der untersuchten Ligen im Zeitverlauf. Die Unterschiede in deren Ausgeglichenheit sind während der letzten 50 Jahre merklich verschwommen. Eine Berechnung der Spannweite – der Differenz des höchsten und des niedrigsten GINI-Koeffizienten einer Saison – ergibt einen deutlichen Abwärtstrends. Während in den 1960 und 1970 er Jahren stark unausgeglichene Abschlusstabellen in Italien mit vergleichsweise umkämpften Saisons in Deutschland oder Frankreich parallel auftraten, sind die Unterschiede heutzutage vergleichsweise gering, vor allem aufgrund der Tatsache, dass besonders ausgeglichene Saisons mittlerweile sehr selten geworden sind. Auch die Standardabweichung unterliegt im gleichen Zeitraum einem Abwärtstrend.

Mittelwert, Spannweite und Standardabweichung über alle Ligen im Zeitverlauf 1964-2013

Mittelwert, Spannweite und Standardabweichung über alle Ligen im Zeitverlauf 1964-2013

Diese Beobachtungen legen den Schluss nahe, diese Ergebnisse in Zusammenhang mit der Kommerzialisierung und Globalisierung des Fußballs zu sehen. Zwar heißt es immer, Geld schieße keine Tore. Ich bin mir aber sehr sicher, dass eine günstige finanzielle Ausgangssituation die Wahrscheinlichkeit für den sportlichen Erfolg einer Mannschaft cetreris paribus deutlich erhöht.

Große Summen können vor allem auf zwei Wegen in den Fußball-Kosmos einfließen: durch (internationalen) sportlichen Erfolg sowie durch externe Investoren und Sponsoren. Letzteres ist vermutlich durch die Globalisierung der Weltwirtschaft ebenso begünstigt worden wie durch die Kommerzialisierung des Fussballs. Die außereuropäische Vermarktung nationaler Ligen und der UEFA-Wettbewerbe macht diese für Investoren und Sponsoren attraktiv.

Auch die stetige Erhöhung der Auschüttungen aus den europäischen Wettbewerben, vor allem der Champions League, sind ein Resultat der globalen Vermarktung. Vereine die einmal in diesem Geldregen standen, schaffen sich beste Voraussetzungen auch in der nachfolgenden Saison wieder nass zu werden. Die Ausgeglichenheit des nationalen Wettbewerbs dürfte kaum dadurch gefördert werden, dass sich finanzielle Mittel an einem Ende der Tabelle konzentrieren.

Die nationalen Ligen im Vergleich

Die jährlichen Schwankungen der GINI-Koeffizenten gestalten es relativ schwierig, die nationalen Fußballligen miteinander zu vergleichen und nach der Intensität ihres Wettbewerbs zu ordnen. In der letzten Saison war die Bundesliga nach der Premier League diejenige mit dem zweithöchsten Koeffizienten. Folgende Tabelle gibt die berechneten Werte wieder. Grün hervorgehobene Werte zeichnen sich im Ligenvergleich durch geringen GINI-Koeffizienten aus, rote durch einen hohen.

Tabelle der GINI-Koeffizienten 1964-2013

Tabelle der GINI-Koeffizienten 1964-2013

Bis in die 1990er Jahre hinein war die Serie A eindeutig die europäische Top-Liga mit dem höchsten GINI-Koeffizienten. Im Gegensatz zu den anderen Ligen weist der Trend aber leicht abwärts, hin zu einem ausgeglicheneren Wettbewerb. Mittlerweile wurde die Serie A an der Spitze von der Premier League abgelöst. Seit Mitte der 2000er findet der unausgeglichenste Wettbewerb in den meisten Spielzeiten auf der Insel statt. Die Identifizierung der Liga mit dem intensivsten Wettbewerb fällt besonders in den letzten fünf Jahren schwer. War während der 2000er die französische Liga am heißesten umkämpft, so war es in jüngster Zeit je zweimal die spanische und deutsche, einmal die französische.

Wo steht nun die Bundesliga im internationalen Vergleich? Wie immer kommt es dabei auf den gewählten Zeitrahmen an. Betrachtet man ausschließlich die letzten zwei Jahre, so fällt der Wettbewerb in der Bundesliga nicht als besonders ausgeglichen aus, während er in den zwei Jahren zuvor im europäischen Vergleich sehr intensiv war. In den 2000er Jahren lag die Bundesliga eher im Mittelfeld, ausgeglichener als die Premier League und die Serie A, aber tendenziell unausgeglichener als Ligue 1 und Primera Division.

Fazit

Der intensivste Wettbewerb findet derzeit definitiv nicht in der höchsten Spielklasse Englands statt. Die Premier League hat die Serie A in dieser Hinsicht von der (negativen) Spitze verdrängt. Welche Liga den höchsten GINI-Koeffizienten aufweist, hat sich in den letzten Jahren ständig verändert. Dies mag vor allem Ausdruck der Konvergenz der Ligen sein, deren Rahmenbedingungen sich aufgrund der Kommerzialisierung immer mehr angleichen und mit Ausnahme der italienischen Serie A sich allesamt im Trend in eine Richtung entwickeln, in welcher die Verteilung der Siege als Grundlage  zur Berechnung des GINI-Koeffizienten eine stärkere Konzentration innerhalb der Ligen erfährt. Die Premier League könnte der Vorbote einer Entwicklung sein, die auch die anderen europäischen Ligen ereilen könnte. Die These, dass der massive finanzielle Einstieg von Investoren ein wesentlicher Faktor für zunehmend unausgeglichenen Wettbewerb ist, lässt sich anhand des englischen Beispiels diskutieren. Insgesamt sollte diese Entwicklung im Auge behalten werden.

Wie sich die Bundesliga unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs entwickeln wird ist unklar. Zum einen bietet die berühmte 50+1-Regel einen gewissen Schutz vor extremen finanziellen Vorteilen einiger Clubs, andererseits verhindert diese auch das priviligierte Positionen die durch kontinuierlichen Erfolg in europäischen Wettbewerben erzielt werden, durch den disruptiven Aufstieg eines anderen Vereins in Frage gestellt werden.

Ist die Bundesliga nun die stärkste Liga der Welt? Allein unter Gesichtspunkten des inneren Wettbewerbs in den letzten zwei Jahren wohl nicht. Möglicherweise muss der sportliche Erfolg in Europa ja mit zunehmendem Ungleichgewicht in der heimischen Liga bezahlt werden. Aber wie immer ist es eine Frage der Perspektive, abhängig von der Wahl des Betrachtungszeitraums und des Kriteriums. Ich werde am Ball bleiben.

von Tobias Wolfanger

Die stärkste Liga der Welt? (I) – Der Kreis der Titelträger im Zeitverlauf

Die Bundesliga auf dem Vormarsch?

Der deutsche Fußball befindet sich nach dem hochklassigen Champions-League-Finale zwischen Borussia Dortmund und Bayern München in Hochstimmung und erfreut sich zunehmender internationaler Anerkennung. Besonders im Vorfeld  des großen Spiels konnten vermehrt Stimmen vernommen werden, welche die deutsche Bundesliga unter den Verdacht stellten, die stärkste Liga in Europa und damit implizit auch der ganzen Welt zu sein.

Aber wie gelangt man zu einer derartigen Einsicht? Kann allein aus dem Umstand, dass zwei Teilnehmer eines Landes im Finale des wichtigsten Turniers im europäischen Vereinsfußball aufeinandertreffen eine solche Schlussfolgerung gezogen werden? Kann eine derartige Behauptung ohne das Expertenurteil von Lothar Matthäus überhaupt ernstgenommen werden? Was macht die Stärke einer Liga aus?

Europapokal und interner Wettbewerb

Meiner Ansicht nach werden bei dem Versuch des Vergleichs nationaler Fußballligen zu häufig zwei unterschiedliche Kriterien in einen Topf geworfen, die nicht notwendigerweise etwas miteinander zu tun haben müssen. Das eine ist die Performanz der Vertreter einer Liga im europäischen Wettbewerb, worunter auch das das deutsche Finale in Wembley zu verbuchen ist. Das von der UEFA verwendete Maß zur Messung des Abschneidens der nationalen Verbände ist die Fünfjahreswertung.

Das andere Kriterium ist die Ausgeglichenheit des Wettbewerbs innerhalb einer Liga. Neben der Bedeutung im Sinne von Bündnis nennt das „Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache“ die Bedeutung des Begriffs „Liga“ im Bereich des Sports als „Leistungsklasse, in der etwa gleich starke Mannschaften zusammengefasst sind.“ Die möglichst ausgeglichene Zusammensetzung einer Spielklasse bringt einige Vorteile mit sich. Je ähnlicher sich die teilnehmenden Mannschaften in Hinblick auf ihre Spielstärke sind, desto schwieriger gestalten sich Prognosen über Spielergebnisse und Abschlusstabelle, desto spannender gestaltet sich der Wettbewerb für neutrale Beobachter. Es besteht also auch ein Zusammenhang mit der ökonomischen Verwertbarkeit der Liga als Produkt. Dies dürfte beispielsweise der Grund für den im Jahr 2004 von Uli Hoeneß Borussia Dortmund zur Verfügung gestellten Notkredit sein. Unabhängig wieviel Altruismus bei dieser für den BVB überlebenswichtigen Maßnahme im Spiel gewesen sein mag, die Relevanz der Borussia für die Attraktivität des Wettbewerbs in der Bundesliga hat sicherlich eine Rolle gespielt.

Aber welches Kriterium ist das entscheidende dafür, eine Liga als stärkste der Welt zu identifizieren und wie kann man beide gegeneinander abwägen? Eine ausschließliche Fokussierung auf den internen Wettbewerb hätte zur Folge, dass zumindest alle höchsten nationalen Spielklassen der Welt als deren stärkste in Frage kämen. In diesem Fall würde ich mich zu der kühnen  Behauptung versteifen, während weiter Teile der 1970er und 80er Jahre gab es genau eine stärkste Liga der Welt. Sie ahnen es bereits: es ist die rumänische Divizia A. 😉 Man siehe sich einmal die Abschlusstabelle der Saison 1974/75 an. Auf der anderen Seite kann auch der Erfolg der Ligavertreter im internationalen Geschäft nicht das alleinige Maß sein. Wenn immer die gleichen Vereine die Liga im europäischen Vergleich gut dastehen lassen, sagt das wenig über Qualität einer Liga ihrer Wortbedeutung nach aus.

Vielleicht lässt sich aus der Kombination beider Kriterien ein besseres Verständnis ableiten. Eine stärkste Liga der Welt, die eindeutig als solche anerkannt werden könnte, müsste meiner Ansicht nach beides bieten. Intensiven internen Wettbewerb und hervorragende Leistung ihrer Vertreter im Europapokal. Während letzteres relativ einfach etwa anhand der Fünfjahreswertung oder des UEFA-Clubrankings festzustellen ist, fällt die Bestimmung der  Ausgeglichenheit einer Liga sehr viel schwerer.

Über die nächsten Wochen werde ich in loser Reihe Beiträge veröffentlichen, die sich dem Thema der Ausgeglichenheit des Wettbewerbs in den großen Ligen Europas mit unterschiedlichen Ansätzen annähern. Ausgewählt habe ich die jeweils die obersten Spielklassen des englischen, spanischen, deutschen, italienischen und französischen Fußballverbands. Die Fallauswahl ergibt sich im Wesentlichen aus zwei Auswahlkriterien: Hinsichtlich der kumulierten Marktwerte der Spieler nach Transfermarkt.de sind handelt es sich dabei um die teuersten Ligen der Welt – wenngleich die Vereine der russichen Liga mittlerweile einen höheren durchschnittlichen Marktwert aufweisen als die französischen Erstligisten. In der UEFA-Fünfjahreswertung belegen England, Spanien, Deutschland und Italien die ersten vier Plätze, Frankreich liegt nach dieser Saison auf Platz sechs hinter Portugal. Die Fallauswahl umfasst also die aktuell hinsichtlich Marktwert der Spieler und UEFA-Fünfjahreswertung vier wichtigsten Fußballigen der Welt sowie die höchste französische Spielklasse die in beiden Ranglisten auf dem sechsten Platz liegt.

Verteilung von Meisterschaften über die Zeit

Einige Zeit nach dem Abschluss einer Saison, spätestens mit dem Beginn der neuen Spielrunde, beginnen sich die Erinnerungen an die abgelaufene Spielzeit bei Vielen bereits zu verflüchtigen. Im kollektiven Fußballgedächtnis bleiben vor allem die Titelgewinner. Einen Vereinsnamen pro Saison kann sich ein Fußballinteressierter merken, Zweit- oder Drittplatzierte werden schnell vergessen. Ein guter Einstiegspunkt in den Liegenvergleich könnte also sein, sich als erstes die Verteilung der Meistertitel auf verschiedenen Vereine anzusehen.

Die letzten zehn Jahre

Ich habe zu diesem Zweck zwei Diagramme erstellt. Da ich die letzten 50 Jahre in den höchsten Spielklassen der fünf größten Ligen in Europa betrachte, habe ich zur Vereinfachung eine Einteilung in Jahrzehnte rückwirkend von der gerade zu Ende gegangenen Saison vorgenommen. Das passt außerdem sehr gut, da die Bundesliga in der zurückliegenden ihre 50. Jubiläumssaison feierte.

Im Vergleich zu den anderen Ländern kommt die Bundesliga immerhin auf fünf verschiedene Vereine, welche die Salatschüssel in den letzten zehn Jahren in die Höhe recken konnten: Neben Bayern München (5x) und Borussia Dortmund (2x) auch Werder Bremen, der VfB Stuttgart und der VfL Wolfsburg. Damit gibt es immerhin einen Meister mehr als in England (Manchester United (5x), Chelsea (3x), Manchester City und Arsenal London) und zwei mehr als in Spanien (FC Barcelona (6x), Real Madrid (3) und FC Valencia) und Italien (Inter Mailand (5x), Juventus Turin (2x) und AC Mailand (2x), 2005 wurde Juventus Turin der Titel wegen des Manipulationsskandals nachträglich aberkannt).

Ein besonderer Blick lohnt sich auf die französiche Ligue Un: Innerhalb der letzten zehn Jahren wurden ganze sechs verschiedene Vereine Meister (Olympique Lyon (5X) sowie jeweils einmal Paris Saint-Germain, HSC Montpellier, OSC Lille, Olympique Marseille und Girondins Bordeaux). In den letzten sechs Jahren wurde sogar jeweils ein anderer Verein Meister. Ob die Abwechslung an der Spitze auch nach dem wahnwitzigen Aufrüsten bei PSG vor der abgelaufenen und des AS Monaco vor der anstehenden Saison bestehen bleiben wird, darf angezweifelt werden. Vielleicht wechseln sich in Zunkunft nur zwei Mannschaften mit dem Gewinn der Meisterschaft ab, das wäre immerhin eine mehr als zwischen 2002 und 2008, als Olympique Lyon sieben Jahre in Folge Meister wurde und damit etwas schaffte, das in den letzten 50 Jahren keinem anderen Verein in den untersuchten Ligen gelungen ist. Aus der Perspektive der nationalen Meisterschaften ist die französiche Liga aus einem Zustand der Serienmeisterschaft direkt in eine Ära mit großer Abwechslung an der Spitze der Abschlusstabelle übergegangen.

Zahl verschiedener nationaler Fußballmeister in Zehnjahresschritten 1964-2013

Zahl verschiedener nationaler Fußballmeister in Zehnjahresschritten 1964-2013

 

Eine Frage des Zeitrahmens

Ein Problem der Betrachtung in Zehnjahreshäppchen ist der Umstand, dass die Einteilung in diese ziemlich willkürlich erfolgt. Würden die Jahresgrenzen um nur eine Saison verschoben, ergäbe sich ein ganz anderes Bild. Daher habe ich im nachfolgenden Diagramm einen anderen Ansatz gewählt, um die Größe des Kreises der Titelträger im Zeitverlauf zu dokumentieren. Ausgehend von der Saison 2012/2013 wird in der Zeit zurückgehend die Zählung jeweils um eins erhöht, wenn ein anderer Verein in dem so geschaffenen Zeitrahmen in den Kreis der Titelträger aufgenommen wird. So lässt sich auf der Abzysse des Diagramms der rückwärts gerichtete Zeitrahmen ablesen, auf der Ordinate die Anzahl verschiedener Vereine, die in diesem Zeitraum mindestens eine nationale Meisterschaft errangen.

Anzahl unterschiedlicher nationaler Meister nach retrospektivem Zeitrahmen

Anzahl unterschiedlicher nationaler Meister nach retrospektivem Zeitrahmen

Was lässt sich nun über die europäischen Top-Ligen hinsichtlich der Verteilung der Meisterschaften mit Blick in die Vergangenheit sagen?

  • Die höchste französische Spielklasse ist, unabhängig von der Wahl des Zeitrahmens über den eine Auswahl getroffen werden soll, jeweils diejenige, welche die meisten unterschiedlichen nationalen Meister aufweisen kann.
  • Am anderen Ende findet sich die spanische Primera Division. In einem Zeitrahmen von 50 Jahren gab es lediglich sieben unterschiedliche spanische Meister. In der jüngsten Vergangenheit muss sogar ganze zehn Saisons zurückgehen, um einen Meister zu finden, der nicht Real Madrid oder FC Barcelona heißt.
  • In der Premier League und ihrer Vorgängerin der First Division wurden während der letzen 50 Saisons elf unterschiedliche Vereine englischer Meister. Innerhalb der letzten 18 Jahre kamen aber nur vier verschiedene Teams aus Manchester und London zu dieser Ehre. In der Saison 1994/95 waren die Blackburn Rovers das letzte andere Team, welches Meister werden konnte.
  • In den Annalen von Italiens Serie A muss man immerhin zwölf Jahre zurückgehen, um einen Meister zu finden, der nicht aus Mailand oder Turin stammt. 2001 und 2000 wurden zuletzt die beiden römischen Vereine AS und Lazio italienischer Meister.
  • Mit fünf verschiedenen Deutschen Meister in den letzten zehn Jahren, ist die Bundesliga mit Ausnahme der Ligue Un den anderen Top-Ligen etwas voraus. Während aber in Italien und England bei weiterem Rückschritt in die Vergangenheit der Kreis der Meister recht beständig zunimmt, macht es bei der Bundesliga keinerlei Unterschied, ob die letzten 16 oder die letzten 30 Jahre betrachtet werden. Deutscher Meister wurde stets einer von sechs Vereinen. Neben den bereits oben genannten zusätzlich der 1. FC Kaiserslautern. 30 Jahre ist es her, als mit dem Hamburger SV zuletzt ein anderes Team am Ende der Saison auf dem ersten Tabellenplatz stand.

Die Bundesliga als stärkste Liga der Welt?

Wenn die Verteilung von Meistertiteln über einen bestimmten Zeitraum eine Aussage über die sportliche Ausgeglichenheit einer Liga zulässt, dann steht die Bundesliga im Vergleich mit den höchsten Spielklassen Englands, Spaniens und Italiens recht gut dar. Wählt man die zeitliche Begrenzung irgendwo zwischen den letzten fünf bis 23 Jahren, so kann die Bundesliga stehts mit ein oder zwei zusätzlichen Meistern aufwarten als die anderen Ligen. Eine deutlich buntere Ehrentafel der nationalen Meister gibt es in Frankreich, es lässt sich aber mit einiger Berechtigung in Frage stellen, ob die Ligue Un dem unmittelbaren Kreis der Top-Ligen zuzurechnen ist.

Insgesamt gibt die Betrachtung der Meistermannschaften einen guten Eindruck über das wichtigste Resultat einer Saison. Was in der Liga insgesamt los war, bleibt allerdings weitestgehend im Verborgenen. Im nächsten Teil der Reihe werde ich daher die Blende weiter aufziehen und die Betrachtung auf die ausgewählten Ligen als Gesamtprodukt ausdehnen. Also: Am Ball bleiben!

von Tobias Wolfanger

Das eigene Facebook-Netzwerk mit netvizz und Gephi

Heute möchte ich vorstellen, wie man mit Hilfe von netvizz und Gephi sein eigenes Facebook-Netzwerk erstellen und visualisieren kann. Das Ergebnis ist ein Netzwerk-Graph, der alle Freundschaften innerhalb des eigenen Facebook-Freundeskreises visualisiert. An diesem lassen sich einige interessante Dinge ablesen, z.B. welche Gemeinschaften es gibt und welche Personen Schlüsselpositionen im eigenen Freundeskreis einnehmen.

Netwerkdatensatz mit netvizz herunterladen

Aber Schritt für Schritt: Zu aller erst muss die Datengrundlage besorgt werden. Innerhalb von Facebook lässt sich dies mit Hilfe der App netvizz realisieren. Folgendes Schritte sind dafür notwendig.

  1. Wir loggen uns in den eigenen Facebook-Account ein.
  2. In das Suchfenster geben wir „netvizz“ ein, klicken darauf und stimmen der Anwendung zu.
  3. Unter dem Punkt „your personal friend network“ bei Step 2 klicken wir auf „here“.
  4. Nun hat netvizz einen Datensatz für unser persönliches Facebook-Netzwerk erstellt. Leider werden nicht alle Freunde in den Datensatz aufgenommen. Bei mir zeigt netvizz an, dass die Datei 188 „nodes“ („Knoten“), also Freunde, und 1373 „edges“ ,Freundschaften zwischen Freunden, abbildet. Das bedeutet, dass 26 meiner 214 Freunde nicht aufgenommen wurden, was in Zusammenhang mit deren Privacy-Einstellungen steht. Wir können Sie jedoch zu einem späteren Zeitpunkt manuell hinzufügen.
  5. Wir klicken mit der rechten Maustaste auf „gdf file“, gehen zu „speichern unter“, wählen „alle Dateien“ und fügen an das Ende des vorgeschlagenen Dateinamens „.gdf“ an. Nun haben wir unseren Netzwerkgraph bereits als Datensatz auf dem Rechner liegen.

Öffnen des Netzwerks in Gephi

Um unser Facebook-Netzwerk zu betrachten, benutzen wir die Open Source Software Gephi die hier heruntergeladen werden kann. Nach der Installation fahren wir mit folgenden Schritten fort:

  1. Wir öffnen Gephi auf unserem Desktop.
  2. Unter „Datei“ -> „Open“ wählen wir den mit netvizz heruntergeladenen Datensatz aus und öffnen ihn.
  3. Im nachfolgenden „Import report“ müssen wir den Graph Type von „Directed“ auf „Undirected“ umstellen und anschließend auf „OK“ klicken. Diese Einstellung gibt an, ob die Beziehung zwischen zwei Knoten symmetrisch oder asymmetrisch sein soll. Bei Facebook sind Freundschaften stets symmetrisch. Man kann mit niemandem befreundet sein, der nicht auch mit einem selbst befreundet sein möchte. Anders ist das etwa bei Twitter oder Google +, wo  asymmetrische Verbindungen der Regelfall sind.
  4. Anschließend benötigt Gephi eine kurze Ladezeit für das Netzwerk, von der wir uns nicht aus der Ruhe bringen lassen. Irgendwann erscheint dann ein verworrener Klumpen auf unserem Bildschirm, der eine erste, wenn auch ziemlich hässliche Visualisierung unseres Netzwerks darstellt. In dieser repräsentiert jeder Punkt einen Freund und jede Linie eine Freundschaft.

Visualisierung des Netzwerks

  1. Nun wollen wir Struktur in unser Netzwerk bringen. Zu diesem Zweck wählen wir ein Layout in der linken unteren Ecke des Bildschirms aus. Meine Erfahrung nach stellt Force Atlas eine gute Variante dar, um Facebook-Netzwerke ansehnlich aufzubereiten. (Natürlich lohnt es sich auch die anderen Layout-Algorhythmen einmal auszuprobieren.) Die angebotenen Einstellungsmöglichkeiten können wir vorerst ignorieren werden, stattdessen klicken wir auf „Run“. Die Netzwerkstruktur bildet sich nun durch Abstoßen und Anziehen zwischen den Knoten heraus. Ab einem gewissen Punkt driften die Komponenten des Netzwerks nur noch weiter auseinander und  wir können auf „Stop“ klicken.
  2. Im nächsten Schritt ist es sinnvoll, den Punkte im Netzwerk eine Identität zuzuorden. Durch das Klicken auf das große, schwarze T am unteren Rand des Programms werden die Knoten mit den (Facebook-)Namen unserer Freunde beschriftet.
  3. Leider überlagern sich die Namen und Punkte immernoch so stark, dass man kaum etwas erkennen kann. Wir wählen daher zwei weitere Layout-Funktionen aus. Wo wir zuvor Force Atlas ausgeführt haben, wählen wir nun Noverlap und führen es aus. Das Resultat ist, dass sich die Punkte in unserem Netzwerk nicht mehr überschneiden. Als nächstes wählen wir an gleicher Stelle LabelAdjust. Nach der Ausführung sollten alle Namen überschneidungsfrei sichtbar sein.
  4. Auf dem Bildschirm lassen sich bereits unterschiedliche Gruppen von Freunden räumlich abgrenzen, die wir aus unterschiedlichen Bezügen und Lebensabschnitten kennen. Nun wäre es schön, diese Gruppen farblich voneindander abzuheben. Dazu klicken wir auf der rechten Seite in der Mitte auf den Reiter „Statistics“ und wählen dort „Run“ neben dem Punkt „Modularity“. Der nachfolgende Report kann geschlossen werden. Damit haben wir eine Berechnung ausgeführt, die Gruppen unterscheidet, indem sie Gemeinschaften so einteilt, dass möglichst viele Verbindungen (Freundschaften) innerhalb und möglichst wenige zwischen diesen liegen. Ein Maß für die Qualität des Ergebnis liefert der bei „Modularity“ angezeigte Wert im Wertebereich zwischen -1 und 1, der durch den Algorhytmus möglichst nahe an 1 gebracht wird. Genaueres lässt sich bei den Autoren nachlesen.
  5. In der oberen linken Ecke des Bildschirms klicken wir nun unter „Partition“ und „Nodes“ auf die zwei grünen Pfeile, und wählen anschließend im Dropdown-Menü „Modularity Class“ aus. Nach einem Klick auf „Apply“ erscheinen die Gemeinschaften im Netzwerk farblich unterschieden. Die Farben können wir nach eigenem Geschmack modifizieren, indem wir auf die farbigen Quadrate klicken. Die Einteilung in Gemeinschaften kann in Richtung kleinerer oder größerer Gruppen durch eine Neuberechung verändert werden, indem die Resolution im Zwischenniveau modifiziert wird.
  6. Die farbliche Unterscheidung gibt unserem Netzwerk zusätzliche Struktur. Als nächstes wäre es doch schön zu wissen, welche unserer Freunde eine besondere Rolle in unserem Netzwerk spielen. Je nach Erkenntnisinteresse bieten sich dafür unterschiedliche Möglichkeiten der Visualisierung an. Für alle müssen wir unter „Statistics“ auf der rechten Seite „Network Diameter“ ausführen. Anschließend geht es wieder in die obere linke Ecke, diesmal unter den Reiter „Ranking“. Wir wählen wieder „Nodes“ aus sowie deren Größe als das zu gestaltende Element (Der rote Diamant). Im Dropdown-Menü stehen uns jetzt die soeben errechneten Maße zur Verfügung. Eine gute Variante ist, die größe eines Punktes in Abhängigkeit von dessen „Degree“ zu setzen, der Summe aller Verbindungen im Netzwerk. In der Visualierung des Netzwerks sind nun diejenigen die Knoten am größten, mit denen wir die meisten Facebook-Freunde teilen. Bei den meisten werden dies die besten Freunde sein, mit denen man Bekannte aus vielen verschiedenen Lebensbezügen gemein hat. Ebenfalls lohnt es sich, die sog. „Betweenness Centrality“ als Maß für die Größe der Punkte auszuwählen. Diese gibt an, wie, auf wie vielen kürzesten Verbindungen zwischen jeweils zwei Punkten ein Knoten liegt. So kommt es, dass bei dieser insbesondere Personen hohe Werte aufweisen, die unterschiedliche Gemeinschaften verbinden, wie zum Beispiel der Lebensgefährte oder die Lebensgefährtin, die mit vielen Freunden aus den unterschiedlichen persönlichen sozialen Kontexten bekannt sind.

Mein Netzwerk

Nachfolgend möchte ich kurz zwei Visualisierungen meines Facebook-Netzwerks vorstellen, damit ein optischer Eindruck des Resultats entsteht. Aus Datenschutzgründen habe ich auf die Beschriftung und die Nennung von Namen verzichtet und lediglich den sozialen Kontext angegeben, der mein Verhältnis zur jeweiligen Gruppe am besten beschreibt. Wer mich besser kennt, dem wird es jedoch relativ leicht fallen, das Netzwerk zu entschlüsseln.

Die erste Abbildung zeigt die Struktur meines Facebook-Netzwerks, welches sich sehr gut in Gemeinschaften mit unterschiedlichen Kontexten unterteilen lässt. In der unteren Rechten Ecke verbleibt ein Knäuel, der sehr viele Verbindungen zwischen den Punkten aufweist. Es handelt sich dabei vor allem um Facebook-Freunde aus Oldenburg und Umgebung. Die Einteilung in Gemeinschaften fällt hier sehr schwer, da die wechselseitigen Bindungen sehr stark sind. Grob lässt sich eine Farbe eher dem Kontext Schule, eine andere dem Sport oder dem Heimatort zuordnen, allerdings bestehen zu viele Querverbindungen für eine saubere Trennung. Oldenburg ist wohl mehr oder weniger ein großes Dorf 🙂 Besonders die zwei großen grünen Punkte fallen optisch aus dem Knäuel: zwei meiner besten Freunde mit denen ich nicht ohne Grund viele gemeinsame Freunde bei Facebook habe, da wir stets viel Zeit miteinander verbracht haben und immer noch verbringen, wenn die Gelegenheit besteht.

Persönliches Facebook-Netzwerk mit Skalierung der Freunde nach Degree

Abbildung1: Persönliches Facebook-Netzwerk mit Skalierung der Freunde nach Degree

Die zweite Abbildung zeigt das gleiche Netzwerk, aber mit der „Betweeness Centrality“ als Maß für die Größe eines Knotens. Die beiden großen grünen Punkte spielen hier nur eine untergeordnete Rolle, da ihnen in einem eng verbundenen Netzwerk keine Schlüsserolle bei der Verbindung von Knoten zukommt. Stattdessen bildet meine Freundin den größten Punkt im Netzwerk, da sie, wie bereits thematisiert, viele meiner Freunde aus unterschiedlichen Bezügen kennt.

Netzwerk mit Skalierung der Knoten nach "Betweeness Centrality"

Abbildung 2: Persönliches Facebook-Netzwerk mit Skalierung der Freunde nach „Betweeness Centrality“

Optional: Freunde und Verbindungen hinzufügen

Wir haben nun unser Facebook-Netzwerk mit Hilfe von gephi Visualisiert, einige Fragen dürften aber noch offen sein. Wie können etwa Freunde zum Netzwerk hinzugefügt werden, die aufgrund der Privacy-Einstellungen der Freunde nicht aufgenommen wurden? Die Möglichkeit dazu besteht in der Ansicht „Data Laboratory“ auf dem Reiter „Data Table“ . Über „Add node“ und „Add edge“ können Freunde und Facebook-Freundschaften hinzugefügt werden, am besten gleicht man dazu die Datentabelle mit seiner Freundesliste auf Facebook ab. Insbesondere letzteres kann etwas mühselig werden, daher gibt es die Möglichkeit in der Ansicht „Overview“ Verbindungen zwischen Punkten zu zeichnen, anstatt diese einzugeben. Am linken Rand des mittleren Fensters dient dazu der untere der beiden Bleistifte.

Zu guter Letzt könnte der eine oder andere noch eine Frage mit sich herumtragen: Wo bin ich? Das auf dem beschriebenen Wege visualisierte Facebook-Netzwerk hat keinen Eintrag für denjenigen, dessen Freundschaftsgeflecht abgebildet wird. Das hat ein paar gute Gründe, etwa die Vermeidung der zentralen Ausrichtung des Netzwerks auf nur eine Person. Eine Reihe interessanter Erkenntnisse würde so eher erschwert. So würde z.B. jede Verbindung zwischen zwei Personen im Netzwerk maximal aus zwei Schritten bestehen, da diese immer zumindest einen gemeinsamen Freund haben, nämlich denjenigen, dessen Netzwerk visualisiert wird. Wer sich selbst in das Netzwerk einfügen möchte, kann das ausprobieren, indem er einen Knoten für sich selbst erstellt und diesen mit allen anderen im Netzwerk verbindet.

Ich hoffe ich konnte zeigen, welche interessanten Einblicke durch die Visualisierung des eigenen Facebook-Netzwerks möglich sind. Vielleicht hat der eine oder andere Lust bekommen, es auch zu versuchen. Für Hilfestellungen und Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung und natürlich freue ich mich über Feedback in den Kommentaren.

von Tobias Wolfanger

Eurovision Song Contest – Eine soziale Netwerkanalyse

Am vorletzten Wochende fand der alljährliche Eurovison Song Contest in Malmö statt. Sieger in diesem Jahr war die dänische Sängerin Emmelie de Forest. Viel mehr kann ich über den Komponistenwettstreit nicht berichten, ich habe vermieden die Veranstaltung vor dem Fernseher zu verfolgen. Wie vielen anderen gefällt mir meistens die Musik einfach nicht. Und doch übt der Wettbewerb ab einem bestimmten Zeitpunkt stets eine gewisse Faszination auf mich auf, nämlich ab dem Beginn der Punktevergabe. Oft meine ich bestimmte Abstimmungsmuster zu erkennen, ohne allerdings genauer benennen zu können, worauf diese beruhen.

Gibt es die Ostblock-Mafia?

Damit stehe ich sicherlich nicht alleine da. Wenn über den ESC gesprochen wird, dann kommt das Gespräch zumeist darauf, wie sich die Zuschauer in den abstimmenden Ländern gegenseitig Punkte zukommen lassem, die aus den Augen Vieler kaum mit der musikalischen Qualität der Beiträge zu rechtfertigen sind. Auch als recht neutraler Beobachter kann man sich dieses Eindrucks kaum erwehren. Die Identifikation wiederkehrender Abstimmungsmuster fällt jedoch nicht leicht.

Es dürfte eine Reihe von Gründen geben, wieso Land B besonders häufig eine hohe Punkteanzahl aus Land A bekommt: Geografische Nachbarschaft, kulturelle Verbundenheit aufgrund von Sprache, Religion und Geschichte, Nachwirkungen vergangener Migrationsbewegungen. Das schlechte Abschneiden des deutschen Beitrags in Malmö wurde gar mit dem Verhalten der Bundesregierung während der Eurokrise in Verbindung gebracht, vielleicht hat der Beitrag aber auch einfach nicht den musikalischen Nerv der Zuschauer getroffen. Dass auch die musikalische Qualität der Beiträge eine wichtige Rolle spielt, zeigt sich anhand der Siegertitel. In den letzten zehn Jahren kamen diese aus zehn verschiedenen Nationen. Eine Beobachtung, die bei weitgehender Vorfestlegung des Abstimmungsverhaltens kaum zu erwarten wäre.

Soziale Netzwerkanalyse der ESC 2004 bis 2013

Ich habe die diversen Spekulationen um Abstimmungsmuster zum Anlass genommen, mir die Abtstimmungsergebnisse der letzten Jahre einmal genauer unter dem Gesichtspunkt wiederkehrender Strukturen anzusehen. Durch die Einbeziehung mehrerer Jahre ist es möglich, in stärkerem Maße von der individuellen Qualität der Beiträge und temporär relevanten Rahmenbedingungen zu abstrahieren und beständigere Muster herauszuarbeiten. Das Jahr 2004 eignet sich als Startpunkt, da zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal alle Länder die Chance hatten, eine Stimme im Finale abzugeben, unabhängig davon, ob der Teilnehmer des eigenen Landes an der Finalshow beteiligt war.

Datenaufbereitung

Nach der Sammlung der Ergebnisse in einer großen Tabelle habe ich eine Adjacency Matrix als Grundlage für eine Netzwerkanalyse erstellt. Zuerst wurden alle jeweils von Land A an Land B geflossenen Punkte aufsummiert und anschließend durch die Anzahl der Abstimmungsgelegenheiten geteilt, um durch das Teilnehmerfeld bedingte Verzerrungen so gering wie möglich zu halten. Voraussetzung war also, dass Land A im jeweiligen Wettbewerb eine Stimme abgegeben  und Land B einen Teilnehmer im Finale hatte. Die Datenmatrix biete ich hier zur eigenen Verwendung an.

Visualisierung mit Gephi

Eine erste Betrachtung des mit Gephi visualisierten Netzwerk ergab zunächst nur einen großen Klumpen, in den alle Punktevergaben des gewählten Zeitraums eingeflossen sind. Insgesamt verwirrt die Visualisierung aber eher als dass sie zu mehr Klarheit führt. Nach einer Reihe von Modifikation bin ich zu dem Entschluss gekommen, lediglich solche Punktevergaben im Netzwerk zu belassen, in denen im Mittel jeweils acht Punkte von Land A zu Land B flossen. Mit 115 verbleibenden Verbindungen sind dies lediglich 7,66 % aller ursprünglich im Netzwerk vorhandenen. Acht Punkte entsprechen nach dem Punktesystem des ESC dem dritten Platz im nationalen Abstimmungsergebnis. Das Ergebnis ist ein recht übersichtliches Netzwerk, das einen Blick auf die wichtigsten und beständigsten Verbindungen zwischen den Ländern erlaubt. Die farbliche Einteilung ist das Resultat eines Modularity-Algorithmus zur Identifizierung von Gemeinsschaften.

Interessante Beobachtungen

werkgraph ESC 2004 to 2013

Darstellung aller durchschnittlichen Vergaben von mindestens acht  Punkten zwischen 2004 bis 2013

Der Balkanklumpen

Der Netzwerkgraph bietet eine Menge von Anknüpfungspunkten, etwa in Hinsicht auf die identifizierten Gemeinschaften. Die blaue Gemeinschaft, ich werde sie „Balkanklumpen“ nennen, verdeutlicht, wie sich die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens sowie Albanien während der letzten zehn ESCs gegenseitig mit Punkten versorgt haben. Bemerkenswert ist, dass auch die alpinen Nachbarn Deutschlands, die Schweiz und Österreich, dieser Gemeinschaft zugeordnet werden. Allerdings gehen von beiden lediglich Punktevergaben aus, während aus den Balkanländern, und auch sonst nirgendwo her, Punkte in entscheidendem Umfang eingehen. Möglicherweise spielen hier Migrationsbewegungen in Folge der Balkankriege der 1990er Jahre eine Rolle, die nun in Richtung des Balkans zurückstrahlen.

Die Türkei – Religion und Migration?

Die Türkei scheint im Netzwerk eine gewisse Sonderolle einzunehmen. Sie hat in den letzen Jahren regelmäßig hohe Punktzahlen aus drei verschiedenen Gemeinschaften erhalten. Aus den Balkanstaaten, von den ehemaligen Sowjetstaaten sowie aus den mittel- und westeuropäischen Ländern. Es lässt sich vermuten, dass dahinter zumindest zwei unterschiedliche Motivationen verborgen sind. Mit Albanien und Aserbaidschan erhält das größte teilnehmende islamische Land, wenn auch per Verfassung laizistisch, hohe Punktzahlen aus zwei von drei der anderen teilnehmenden hauptsächlich muslimisch geprägten Staaten.

Außerdem erhält die Türkei regelmäßig hohe Punktzahlen aus Deutschland, die sicherlich mit dem hohen Anteil der türkischstämmigen Bevölkerung zusammenhängen. Fast drei Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergund leben in Deutschland, also mehr als drei Prozent der Einwohnerschaft. In den Niederlanden sind es 2,5 %, in Belgien 1 % und in Frankreich 0,9 %. Es handelt sich bei den Punktegebern für die Türkei also um die Staaten Kerneuropas, mit einem besonders hohen Anteil türkischstämmiger Bevölkerung (Liste türkischer Bevölkerungsanteile bei der Wikipedia). Besonders für Frankreich ist anzunehmen, dass auch die Bevölkerungsanteile muslimischer Religion mit anderem Herkunftsland ein Grund für die Punktevergabe an die Türkei sind.

Regelmäßige hohe Punktzahlen werden aus der Türkei an Aserbaidjan und Bosnien-Herzegowina vergeben, der religiöse Zusammenhang dürfte auch hier eine Rolle spielen. Außerdem fließen aus dem Land am Bosporus regelmäßig Punkte nach Armenien, hier dürfte vor allem die besondere historische, nachbarschaftliche Konstallation beider Staaten eine Rolle spielen, die auch viele dunkle Kapitel erlebt hat.

Der UdSSR-Komplex

Ähnlich den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens finden sich alle ehemaligen Sowjet-Republiken, mit Ausnahme Estlands, das eher mit den skandinavischen Ländern verbunden ist, in einer Gemeinschaft wieder. Besonders Russland als Kernland der ehemaligen Sowjetunion profitiert von regelmäßig hohen Punktevergaben aus Moldawien, der Ukraine, Armenien, Weißrussland und Lettland. Es zeigt sich also ein Unterschied zu den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, bei denen die Punkteströme weitaus weniger auf ein einzelnes Land zulaufen. Im Falle Russlands erhielt lediglich Aserbaidschan regelmäßig hohe Punktzahlen.

Anknüpfungspunkte zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken und anderen Staaten scheint es vor allem über nachbarschaftliche Beziehungen zu geben. Eine äußerst starke, bilaterale Punktevergabe besteht zwischen Moldawien und Rumänien, die auf einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund einschließlich des Rümänischen als gemeinsamer Amtssprache blicken. Im Baltikum besteht eine Verbindung von Lettland zu Estland und von Estland nach Russland. Damit bilden die Esten quasi das Scharnier zwischen Osteuropa und Skandinavien.

Die Skandinavier

Keine Region Europas war während der letzen Jahre so erfolgreich im ESC wie Skandinavien. Finnland (2006), Norwegen (2009), Schweden (2012) und Dänemark (2013) haben allesamt  während des letzen Jahrzehnts einen Wettbewerb gewonnen. Nachbarschaftliche Wohltaten dürften dabei gegenüber der individuellen Qualität der Beiträge im Siegesjahr eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Alle skandinavischen Länder, Estland einmal eingeschlossen, haben lediglich eine ausgehende Verbindung mit einer durchschnittlichen Punktevergabe von mindestens acht. Schweden erhält regelmäßig hohe Punktzahlen aus den Nachbarländern Dänemark und Norwegen.

Südeuropa

Eine weitere, wenn auch eher loser verbundene Gruppe bilden die Länder Südeuropas. Auf der iberischen Halbinsel können sich die Spanier an regelmäßig hohen Punktevergaben aus Portugal und Andorra erfreuen. Griechenland profitiert von seiner Position zwischen Balkan und Osteuropa. Starke bilaterale Verbindungen bestehen mit den Nachbarländern Albanien und Bulgarien sowie naturgemäß mit Zypern. Auch aus Rumänien, San Marino, Serbien und Montenegro kann Griechenland regelmäßig auf hohe Punktzahlen hoffen. Der Nachbar Bulgarien erhält einen regelmäßigem Punktezustrom aus Ungarn, Spanien, Griechenland und Zypern.

Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich haben es schwer

Als deutscher Teilnehmer am ESC sollte man sich keine allzu großen Hoffnungen machen, hohe Punktzahlen aus anderen Ländern allein aus dem Grund zu erhalten, dass man für Deutschland antritt. Damit geht es den deutschen Teilnehmern ganz ähnlich wie Franzosen und Briten. Letztere können ebenso wenig auf regelmäßig hohe Punktzahlen aus Irland hoffen, das hohe Punktzahlen lieber an die baltischen Staaten vergibt, wie die Deutschen auf Zuwendungen aus Österreich und der Schweiz oder Frankreich aus Belgien, der Schweiz und Monaco. Im Falle der großen europäischen Nationen scheinen sprachliche und kulturelle Gemeinsamkeiten mit kleineren Nachbarländern von geringerer Bedeutung für die Punktevergabe zu sein.

Italien

Eine Ausnahme davon bildet Italien. Italienische Beiträge erhalten regelmäßig hohe Punktzahlen aus Malta, Polen und Spanien. Äußerst intensiv werden bilateral Punkte zwischen Italien und Albanien vergeben. Mögliche Erklärungen sind sowohl die historisch bedeutende Rolle Italiens in Albanien als auch der beträchtliche Anteil albanischstämmiger Flüchtlinge der in Italien Zuflucht gefunden hat.

Fazit

Die Netzwerkvisualisierung der ESC-Punktevergaben 2004 bis 2013 veranschaulicht, dass Strukturen vorhanden sind, innerhalb derer sich Länder bevorzugt gegenseitig mit Punkten bedenken. Besonders intensiv miteinander verbunden sind die Länder des ehemaligen Jugoslawiens sowie der Sowjetunion. Insgesamt zeigt sich, dass nachbarschaftliche und kulturelle Verbindungen geschichtlicher, sprachlicher und religiöser Art gute Erklärungsansätze für die vorgefundenen Strukturen liefern. Jede im Graph visualisierte Verbindung bietet die Gelegenheit zu fragen, welches spezifische Band gerade diese beiden Länder verbindet. Ich habe meine Betrachtungen zumeist auf einem recht abstrakten Niveau gehalten. Über entsprechende Erklärungsansätze für weitere Verbindungen freue ich mich daher in den Kommentaren.

Zwei Dinge sind abschließend erwähnenswert, wenn der Eurovision Song Contest unter dem Gesichtspunkt seiner Natur als Wettbewerb betrachtet wird: Die Identifikation von Abstimmungsmustern aufgrund kultureller und nachbarschaftlicher Verbindungen bedeutet keineswegs, dass es sich um vorrangig aus Solidarität vergebene Punkte handeln muss. In vielen Fällen ist viel mehr anzunehmen, dass ein gemeinsamer kultureller Hintergrund wesentlicher Grund für einen gemeinsamen musikalischen Geschmack darstellt.

Unter Wettbewerbsgesichtspunkten ergeben sich daraus unterschiedliche Voraussetzungen für die teilnehmenden Staaten. Je mehr kulturell verwandte Nationen an einem Wettbewerb teilnehmen, desto besser ist deren Ausgangssituation mit einem Grundstock relativ sicher erwartbarer Punkte. Eine Garantie für einen Sieg ist dies aber mitnichten, wenn auch die Wahrscheinlichkeit, auf einem der hinteren Plätze zu landen, für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion und des ehemaligen Jugoslawiens weitaus geringer ist. Westeuropäische und skandinavische Staaten, die auf eine deutlich längere eigene Geschichte und Kultur zurückblicken können, landen eher auf den hinteren Plätzen des Wettbewerbs, wenn sie musikalisch nicht zu überzeugen wissen.

Für einen Sieg beim ESC ist es allerdings zwingend erforderlich, auch Staaten außerhalb der eigenen kulturellen Peer-Group von der musikalischen Qualität des eigenen Beitrags zu überzeugen, so wie es beispielsweise Lena für Deutschland im Jahr 2010 gelungen ist. Meine persönliche These ist, dass hierzu insbesondere Kompositionen in der Lage sind, die einen überregionalen, wenn nicht globalen, Musikgeschmack treffen. Die weltweit in den Charts auftauchende skandinavische Popmusik scheint diese Voraussetzung zu erfüllen.

von Tobias Wolfanger