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Die stärkste Liga der Welt? (I) – Der Kreis der Titelträger im Zeitverlauf

Die Bundesliga auf dem Vormarsch?

Der deutsche Fußball befindet sich nach dem hochklassigen Champions-League-Finale zwischen Borussia Dortmund und Bayern München in Hochstimmung und erfreut sich zunehmender internationaler Anerkennung. Besonders im Vorfeld  des großen Spiels konnten vermehrt Stimmen vernommen werden, welche die deutsche Bundesliga unter den Verdacht stellten, die stärkste Liga in Europa und damit implizit auch der ganzen Welt zu sein.

Aber wie gelangt man zu einer derartigen Einsicht? Kann allein aus dem Umstand, dass zwei Teilnehmer eines Landes im Finale des wichtigsten Turniers im europäischen Vereinsfußball aufeinandertreffen eine solche Schlussfolgerung gezogen werden? Kann eine derartige Behauptung ohne das Expertenurteil von Lothar Matthäus überhaupt ernstgenommen werden? Was macht die Stärke einer Liga aus?

Europapokal und interner Wettbewerb

Meiner Ansicht nach werden bei dem Versuch des Vergleichs nationaler Fußballligen zu häufig zwei unterschiedliche Kriterien in einen Topf geworfen, die nicht notwendigerweise etwas miteinander zu tun haben müssen. Das eine ist die Performanz der Vertreter einer Liga im europäischen Wettbewerb, worunter auch das das deutsche Finale in Wembley zu verbuchen ist. Das von der UEFA verwendete Maß zur Messung des Abschneidens der nationalen Verbände ist die Fünfjahreswertung.

Das andere Kriterium ist die Ausgeglichenheit des Wettbewerbs innerhalb einer Liga. Neben der Bedeutung im Sinne von Bündnis nennt das „Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache“ die Bedeutung des Begriffs „Liga“ im Bereich des Sports als „Leistungsklasse, in der etwa gleich starke Mannschaften zusammengefasst sind.“ Die möglichst ausgeglichene Zusammensetzung einer Spielklasse bringt einige Vorteile mit sich. Je ähnlicher sich die teilnehmenden Mannschaften in Hinblick auf ihre Spielstärke sind, desto schwieriger gestalten sich Prognosen über Spielergebnisse und Abschlusstabelle, desto spannender gestaltet sich der Wettbewerb für neutrale Beobachter. Es besteht also auch ein Zusammenhang mit der ökonomischen Verwertbarkeit der Liga als Produkt. Dies dürfte beispielsweise der Grund für den im Jahr 2004 von Uli Hoeneß Borussia Dortmund zur Verfügung gestellten Notkredit sein. Unabhängig wieviel Altruismus bei dieser für den BVB überlebenswichtigen Maßnahme im Spiel gewesen sein mag, die Relevanz der Borussia für die Attraktivität des Wettbewerbs in der Bundesliga hat sicherlich eine Rolle gespielt.

Aber welches Kriterium ist das entscheidende dafür, eine Liga als stärkste der Welt zu identifizieren und wie kann man beide gegeneinander abwägen? Eine ausschließliche Fokussierung auf den internen Wettbewerb hätte zur Folge, dass zumindest alle höchsten nationalen Spielklassen der Welt als deren stärkste in Frage kämen. In diesem Fall würde ich mich zu der kühnen  Behauptung versteifen, während weiter Teile der 1970er und 80er Jahre gab es genau eine stärkste Liga der Welt. Sie ahnen es bereits: es ist die rumänische Divizia A. 😉 Man siehe sich einmal die Abschlusstabelle der Saison 1974/75 an. Auf der anderen Seite kann auch der Erfolg der Ligavertreter im internationalen Geschäft nicht das alleinige Maß sein. Wenn immer die gleichen Vereine die Liga im europäischen Vergleich gut dastehen lassen, sagt das wenig über Qualität einer Liga ihrer Wortbedeutung nach aus.

Vielleicht lässt sich aus der Kombination beider Kriterien ein besseres Verständnis ableiten. Eine stärkste Liga der Welt, die eindeutig als solche anerkannt werden könnte, müsste meiner Ansicht nach beides bieten. Intensiven internen Wettbewerb und hervorragende Leistung ihrer Vertreter im Europapokal. Während letzteres relativ einfach etwa anhand der Fünfjahreswertung oder des UEFA-Clubrankings festzustellen ist, fällt die Bestimmung der  Ausgeglichenheit einer Liga sehr viel schwerer.

Über die nächsten Wochen werde ich in loser Reihe Beiträge veröffentlichen, die sich dem Thema der Ausgeglichenheit des Wettbewerbs in den großen Ligen Europas mit unterschiedlichen Ansätzen annähern. Ausgewählt habe ich die jeweils die obersten Spielklassen des englischen, spanischen, deutschen, italienischen und französischen Fußballverbands. Die Fallauswahl ergibt sich im Wesentlichen aus zwei Auswahlkriterien: Hinsichtlich der kumulierten Marktwerte der Spieler nach Transfermarkt.de sind handelt es sich dabei um die teuersten Ligen der Welt – wenngleich die Vereine der russichen Liga mittlerweile einen höheren durchschnittlichen Marktwert aufweisen als die französischen Erstligisten. In der UEFA-Fünfjahreswertung belegen England, Spanien, Deutschland und Italien die ersten vier Plätze, Frankreich liegt nach dieser Saison auf Platz sechs hinter Portugal. Die Fallauswahl umfasst also die aktuell hinsichtlich Marktwert der Spieler und UEFA-Fünfjahreswertung vier wichtigsten Fußballigen der Welt sowie die höchste französische Spielklasse die in beiden Ranglisten auf dem sechsten Platz liegt.

Verteilung von Meisterschaften über die Zeit

Einige Zeit nach dem Abschluss einer Saison, spätestens mit dem Beginn der neuen Spielrunde, beginnen sich die Erinnerungen an die abgelaufene Spielzeit bei Vielen bereits zu verflüchtigen. Im kollektiven Fußballgedächtnis bleiben vor allem die Titelgewinner. Einen Vereinsnamen pro Saison kann sich ein Fußballinteressierter merken, Zweit- oder Drittplatzierte werden schnell vergessen. Ein guter Einstiegspunkt in den Liegenvergleich könnte also sein, sich als erstes die Verteilung der Meistertitel auf verschiedenen Vereine anzusehen.

Die letzten zehn Jahre

Ich habe zu diesem Zweck zwei Diagramme erstellt. Da ich die letzten 50 Jahre in den höchsten Spielklassen der fünf größten Ligen in Europa betrachte, habe ich zur Vereinfachung eine Einteilung in Jahrzehnte rückwirkend von der gerade zu Ende gegangenen Saison vorgenommen. Das passt außerdem sehr gut, da die Bundesliga in der zurückliegenden ihre 50. Jubiläumssaison feierte.

Im Vergleich zu den anderen Ländern kommt die Bundesliga immerhin auf fünf verschiedene Vereine, welche die Salatschüssel in den letzten zehn Jahren in die Höhe recken konnten: Neben Bayern München (5x) und Borussia Dortmund (2x) auch Werder Bremen, der VfB Stuttgart und der VfL Wolfsburg. Damit gibt es immerhin einen Meister mehr als in England (Manchester United (5x), Chelsea (3x), Manchester City und Arsenal London) und zwei mehr als in Spanien (FC Barcelona (6x), Real Madrid (3) und FC Valencia) und Italien (Inter Mailand (5x), Juventus Turin (2x) und AC Mailand (2x), 2005 wurde Juventus Turin der Titel wegen des Manipulationsskandals nachträglich aberkannt).

Ein besonderer Blick lohnt sich auf die französiche Ligue Un: Innerhalb der letzten zehn Jahren wurden ganze sechs verschiedene Vereine Meister (Olympique Lyon (5X) sowie jeweils einmal Paris Saint-Germain, HSC Montpellier, OSC Lille, Olympique Marseille und Girondins Bordeaux). In den letzten sechs Jahren wurde sogar jeweils ein anderer Verein Meister. Ob die Abwechslung an der Spitze auch nach dem wahnwitzigen Aufrüsten bei PSG vor der abgelaufenen und des AS Monaco vor der anstehenden Saison bestehen bleiben wird, darf angezweifelt werden. Vielleicht wechseln sich in Zunkunft nur zwei Mannschaften mit dem Gewinn der Meisterschaft ab, das wäre immerhin eine mehr als zwischen 2002 und 2008, als Olympique Lyon sieben Jahre in Folge Meister wurde und damit etwas schaffte, das in den letzten 50 Jahren keinem anderen Verein in den untersuchten Ligen gelungen ist. Aus der Perspektive der nationalen Meisterschaften ist die französiche Liga aus einem Zustand der Serienmeisterschaft direkt in eine Ära mit großer Abwechslung an der Spitze der Abschlusstabelle übergegangen.

Zahl verschiedener nationaler Fußballmeister in Zehnjahresschritten 1964-2013

Zahl verschiedener nationaler Fußballmeister in Zehnjahresschritten 1964-2013

 

Eine Frage des Zeitrahmens

Ein Problem der Betrachtung in Zehnjahreshäppchen ist der Umstand, dass die Einteilung in diese ziemlich willkürlich erfolgt. Würden die Jahresgrenzen um nur eine Saison verschoben, ergäbe sich ein ganz anderes Bild. Daher habe ich im nachfolgenden Diagramm einen anderen Ansatz gewählt, um die Größe des Kreises der Titelträger im Zeitverlauf zu dokumentieren. Ausgehend von der Saison 2012/2013 wird in der Zeit zurückgehend die Zählung jeweils um eins erhöht, wenn ein anderer Verein in dem so geschaffenen Zeitrahmen in den Kreis der Titelträger aufgenommen wird. So lässt sich auf der Abzysse des Diagramms der rückwärts gerichtete Zeitrahmen ablesen, auf der Ordinate die Anzahl verschiedener Vereine, die in diesem Zeitraum mindestens eine nationale Meisterschaft errangen.

Anzahl unterschiedlicher nationaler Meister nach retrospektivem Zeitrahmen

Anzahl unterschiedlicher nationaler Meister nach retrospektivem Zeitrahmen

Was lässt sich nun über die europäischen Top-Ligen hinsichtlich der Verteilung der Meisterschaften mit Blick in die Vergangenheit sagen?

  • Die höchste französische Spielklasse ist, unabhängig von der Wahl des Zeitrahmens über den eine Auswahl getroffen werden soll, jeweils diejenige, welche die meisten unterschiedlichen nationalen Meister aufweisen kann.
  • Am anderen Ende findet sich die spanische Primera Division. In einem Zeitrahmen von 50 Jahren gab es lediglich sieben unterschiedliche spanische Meister. In der jüngsten Vergangenheit muss sogar ganze zehn Saisons zurückgehen, um einen Meister zu finden, der nicht Real Madrid oder FC Barcelona heißt.
  • In der Premier League und ihrer Vorgängerin der First Division wurden während der letzen 50 Saisons elf unterschiedliche Vereine englischer Meister. Innerhalb der letzten 18 Jahre kamen aber nur vier verschiedene Teams aus Manchester und London zu dieser Ehre. In der Saison 1994/95 waren die Blackburn Rovers das letzte andere Team, welches Meister werden konnte.
  • In den Annalen von Italiens Serie A muss man immerhin zwölf Jahre zurückgehen, um einen Meister zu finden, der nicht aus Mailand oder Turin stammt. 2001 und 2000 wurden zuletzt die beiden römischen Vereine AS und Lazio italienischer Meister.
  • Mit fünf verschiedenen Deutschen Meister in den letzten zehn Jahren, ist die Bundesliga mit Ausnahme der Ligue Un den anderen Top-Ligen etwas voraus. Während aber in Italien und England bei weiterem Rückschritt in die Vergangenheit der Kreis der Meister recht beständig zunimmt, macht es bei der Bundesliga keinerlei Unterschied, ob die letzten 16 oder die letzten 30 Jahre betrachtet werden. Deutscher Meister wurde stets einer von sechs Vereinen. Neben den bereits oben genannten zusätzlich der 1. FC Kaiserslautern. 30 Jahre ist es her, als mit dem Hamburger SV zuletzt ein anderes Team am Ende der Saison auf dem ersten Tabellenplatz stand.

Die Bundesliga als stärkste Liga der Welt?

Wenn die Verteilung von Meistertiteln über einen bestimmten Zeitraum eine Aussage über die sportliche Ausgeglichenheit einer Liga zulässt, dann steht die Bundesliga im Vergleich mit den höchsten Spielklassen Englands, Spaniens und Italiens recht gut dar. Wählt man die zeitliche Begrenzung irgendwo zwischen den letzten fünf bis 23 Jahren, so kann die Bundesliga stehts mit ein oder zwei zusätzlichen Meistern aufwarten als die anderen Ligen. Eine deutlich buntere Ehrentafel der nationalen Meister gibt es in Frankreich, es lässt sich aber mit einiger Berechtigung in Frage stellen, ob die Ligue Un dem unmittelbaren Kreis der Top-Ligen zuzurechnen ist.

Insgesamt gibt die Betrachtung der Meistermannschaften einen guten Eindruck über das wichtigste Resultat einer Saison. Was in der Liga insgesamt los war, bleibt allerdings weitestgehend im Verborgenen. Im nächsten Teil der Reihe werde ich daher die Blende weiter aufziehen und die Betrachtung auf die ausgewählten Ligen als Gesamtprodukt ausdehnen. Also: Am Ball bleiben!

von Tobias Wolfanger